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Wo stehe ich eigentlich selbst – politisch?

7. Dezember 2016

Fairnesszone

Angeregt durch die aktuelle Initiative von Martin Oetting habe ich erneut begonnen, darüber nachzudenken. Und die Antwort: Ich stehe ziemlich auf dem Schlauch. Schon seit Jahren habe ich vor jeder Wahl, an der ich eigentlich immer teilnehmen möchte, heftiges Bauchgrimmen. Wo das Kreuzchen machen, damit es in den nächsten Jahren gut weiter geht? Für mich in den letzten Jahren immer schwieriger. Daher nehme ich die Anregung von Martin auf, um mal einige Kerngedanken in diese wichtige Debatte einzubringen. Gleichwohl sollen sie dazu beitragen, dass auch andere zumindest darüber nachdenken.

Politik fängt im Dorf an

Durch meine Tätigkeiten bei Lokal- und Regionalzeitungen bin ich sehr früh mit vielen politischen Ebenen in Berührung gekommen. Die Berichterstattung über Fachausschüsse, Rats-Versammlungen, politische Ortsvereine, Delegierten-Versammlungen und Wahlkämpfe hat bei mir zu einer sehr wichtigen Erkenntnis geführt: Politik fängt im Dorf an.

Hier werden Entscheidungen (so noch möglich…) getroffen, die das unmittelbare Lebensumfeld betreffen. Die Ausweisung von Gewerbegebieten, der Unterhalt der Straßen, die Einrichtung von Kindergärten und Schulen, die Freizeitanlagen, die Ansiedlung von Geschäften und Unternehmen, die Unterstützung von Verbänden und Vereinen – all das ist nur ein ganz kleiner Teil des kommunalen Aufgabengebietes.

Vielen Menschen, so nehme ich es wahr, ist heute vielleicht nicht mehr bewusst, dass sie der Souverän in ihrer Gemeinde, ihrer Kleinstadt, oder ihres Stadtteilbezirkes sind. Sie bestimmen die Zusammensetzung des Gemeinderates, des Kreistages, des Landtages und des Bundestages, des Europaparlamentes. Und es stellt sich zunächst die Frage: Kennen die Wählerinnen und Wähler tatsächlich ihre Kandidaten? Kennen sie sie auch noch nach einem Jahr? Wer hält eigentlich wann mit wem Kontakt? Dazu später noch mal mehr.

Die Ebenen – wer durchschaut?

Die Verwaltung in Deutschland ist komplex. So wie ich zuvor die Aufgaben einer Gemeinde oder einer Stadt beschrieben habe, geht die Liste der Aufgaben in die nächsthöhere Ebene: Es gibt 294 Landkreise (und über 100 kreisfreie Städte), die demokratisch gewählte Abgeordnete haben, um über die Belange in ihrem Beritt zu entscheiden. Darüber stehen wiederum die Regierungsbezirke (ohne Abgeordnete), darüber der Landtag, dann der Bundestag. Oha, das Europa-Parlament.

Wer entscheidet worüber? Und wer weiß das? Wer sich schon mal für die Finanzierung einer Stadt interessiert hat, wird schnell wissen, wie komplex dieses Thema ist. Das ist Steuer nur ein kleiner Begriff, weil es viel mehr um Schlüsselzuweisungen, kommunalen Finanzausgleich und Länderfinanzausgleich geht. Schon mal einen Haushalt einer Stadt in den Händen gehalten? Jedes Jahr ein dickes Brett, kryptisch bis zum geht nicht mehr, für Laien (und selbst manche Kommunalpolitiker) ein Buch mit mehr als sieben Siegeln.

Wer und wie berichtet darüber?

Diese komplexen Themen an das Wahlvolk zu bringen, war früher mal eine der originären Aufgaben einer Tageszeitung. Mal mehr, mal weniger gut und/oder kontrovers berichteten die lokalen Medien über die Entscheidungen innerhalb einer Kommune. In vielen Fällen tun sie das immer noch, aber der Medienwandel hat längst begonnen. Die Auflagen der regionalen Medien schwinden kontinuierlich. Und es gibt viele neue Medien, die sich gegebenenfalls darum kümmern.

Nicht zuletzt die Parteien selbst tragen dazu bei, ohne die Zeitungen als Filter zu kommunizieren. Mit ihren Auftritten im Web und in den sogenannten sozialen Medien haben sie erkannt, dass es auch ohne die Mittler möglich ist, das Wahlvolk zu erreichen. Mal besser, mal schlechter.

Der Abgeordnete – Nicht zu beneiden

Schon die Mitglieder eines Gemeinde- oder Stadtrates sind in vielen Fällen nicht zu beneiden. Im zuvor beschriebenen Räderwerk einer Verwaltung ist oft die Entscheidungsbefugnis nur noch gering, dennoch verantwortungsvoll, immer aber: unterbezahlt. Nur in einer guten Zusammenarbeit mit der Verwaltung lassen sich zunächst auf lokaler Ebene Entscheidungen treffen, immer eingebunden in die nächsthöheren Ebenen. Mal eben pragmatisch entscheiden? Kaum noch möglich. Dies betrifft die Mitglieder eines Kreistages genau so, die der weiteren Ebenen immer mehr: die Komplexität nimmt zu.

Und wer sagt es dem Wähler? Im kleinen Dorf sind sie noch gut verdrahtet, oft über die Vereine. In einer Kleinstadt ist dies vielleicht auch noch so. Aber dann? Ganz ehrlich: Ich kenne derzeit nicht mal die politischen Vertreter in dieser Stadt, oder in den nächsten höheren Ebenen. Ich kenne gerade mal den Bürgermeister. Es flattert mal ein Flyer in den Briefkasten, der mich zu Veranstaltungen einlädt, die mich eigentlich nie interessieren. Also gehe ich auch nicht hin.

Die Themen – Wann und wie darum kümmern?

Immer wieder stolpern wir darüber: Hol- oder Bringschuld? Muss ich mich informieren, oder muss sich die oder der gewählte Abgeordnete bei mir melden? Und wo muss er sich melden, und wie? Und mit welchen Themen? Zumal sich die Themen, die mich interessieren, über die Jahre sehr verändert haben. Als Junior in den Kindergarten und in die Schule ging, waren das meine Themen. Lokale Wirtschaftsförderung war es damals auch noch, heute nicht mehr. Nach Trennung und Scheidung habe ich mich für die gesetzlichen Grundlagen interessiert, heute nicht mehr. Meine Themen zunehmend: Altersversorgung, Beruf, Gesundheit, Umweltschutz, zunehmend: Demokratie..

Meinung – nur Hörensagen?

Im nur annähernd beschriebenen komplexen Räderwerk bin ich dann aufgerufen, mein Kreuzchen für die abzugeben, denen ich zutraue, das Räderwerk zumindest  zu begreifen, und darin zu agieren. Kann ich eigentlich so viel lesen, dass ich das gut entscheiden kann? Muss ich das? Sollte ich? Eigentlich schon, oder? Wie bilde ich mir meine Meinung?

Ganz ehrlich: Ich kenne nicht mal zehn Menschen (und ich kenne viele Menschen!), denen ich zutraue, dass sie das genau so machen. Dass sie von Mal zu Mal kritisch abwägen, wer ihre Interessen vertreten kann und soll. Wie aber treffen alle anderen ihre Wahlentscheidung, woher haben sie ihre Meinung? Eher traditionell wie die Eltern, vielleicht wie Freunde und Bekannte?

Dabei haben wir über die ganz großen Themen noch gar nicht gesprochen. Was ist mit dem Umweltschutz, was ist mit der künftigen Energieversorgung, wie sieht es mit der Mobilität aus, wie mit Freiheitsrechten, wie mit Datenschutz, wie mit Einwanderung und dem großen Thema Flucht?

Wir haben auch noch nicht darüber gesprochen, wie wir unseren Kindern Demokratie beibringen. Und ganz besonders: Medienkompetenz. Mein Junior, mittlerweile 15 Jahre alt, war in seinem Leben noch nie in einer Gemeinde- oder Stadtratssitzung. Immerhin war er schon mal auf politischen Veranstaltungen, weil der Vater ihn dort hingeschleppt hatte.

Und nun?

Nur ein bisschen schlauer. Im Kern geht es mir darum, dass wir wieder mehr Augenmerk darauf legen sollen, die Demokratie zu stärken. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir wissen, wie sie funktioniert. Und es geht darum, Menschen in diese Prozesse einzubeziehen, mit ihnen Fakten zu diskutieren, Zusammenhänge zu erklären. Und jeden da abholen, wo er steht. Politiker müssen viel mehr Gelegenheiten schaffen, mit ihren Wählerinnen und Wählern ins Gespräch zu kommen. Auch, wenn das zuweilen mühselig ist.

Gleichwohl müssen auch Bürgerinnen und Bürger lernen, ihre Interessen in diesem Räderwerk zu finden, und sich daran beteiligen. Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Wir müssen überall mehr miteinander reden, um die Zukunftsthemen sachlich und gründlich zu entscheiden. Und es bedeutet etwa, dass ich mir meiner Verantwortung als Bürger bewusst werde; dass es nicht gleichgültig ist, ob ich überhaupt zur Wahl gehe, sondern, dass es gerade mein wichtiger Beitrag ist, möglichst fundiert eine Wahlentscheidung zu treffen. Das ist für mich Politik.

cdv!

*Nicht zu Ende geschrieben; kann sein, dass ich das ein oder andere Thema noch ergänze.

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