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Die Pandemie, die Bürgermeisterinnen und die lokale Politik

7. Februar 2021

Bürgermeister Claus Ruhe Madsen bleibt ruhig. Bestimmt nicht ganz einfach, bei einem ständig unanständigen zwischenfragenden Schwadroneur, also Lanz, vor einem durchaus relevanten Publikum zu später Stunde von mehr als einer Million Zuschauerinnen. Der Rostocker Bürgermeister bleibt cool, berichtet.

Gerade mal 100 Tage im Amt, den ersten Stadthaushalt gerade fertig, startete dann die Pandemie. Und der ehemalige Möbelhändler handelt. Schaufelt Personal ins Gesundheitsamt, lässt lokal eine App entwickeln, lässt Hinweise des Innenministeriums über sich ergehen, hört aufmerksam den Hinweisen des RKI-Chefs, Dr. Lothar H. Wieler, zu, vernimmt in Videokonferenzen Kollegen, die schon aufgeben, organisiert Tests ohne Ende, mit vielen Widrigkeiten. Und er kommuniziert. Erklärt den Rostocker Bürgerinnen, warum was gemacht werden muss. Er lobt sie, ausdrücklich, die eigene Verwaltung, die Bürgerinnen und Bürger. Und traut sich, ein Konzert mit mehr als 5000 Zuschauerinnen am gleichen Abend noch abzusagen. Die Zahlen sprechen für sich. Rostock bleibt über eine lange Zeit und bis heute eine Ausnahmestadt. Bisher mussten lediglich neun Corona-Tote verzeichnet werden.

Der Mann kann Facebook und Instagram, schickt den Rostocker Bürgerinnen am 31. Dezember ein kurzes und ermutigendes Video vom leer geräumten Schreibtisch, schickt auch zwischendurch immer mal nette Fotos aus seinen Radfahrpausen. Sympathisch, locker, Däne.

Der andere ist schon lange etwas schräg und schrill. Boris Palmer, der grüne Bürgermeister der Stadt Tübingen, wegen vieler Äußerungen zu vielen Themen auch in der eigenen Partei häufig umstritten, ist seit Monaten auf dem Sonderweg. Taxis auf Stadtkosten, testen, testen, testen, kurzfristiges und vernehmbares Management, Kommunikation auf allen Kanälen. Der Inzidenzwert ist außergewöhnlich, einer der niedrigsten in Baden-Württemberg. Manchmal anstrengend, aber dennoch durchaus lehrreich: Es lohnt sich, dem Tübinger Bürgermeister auf Facebook zu folgen. Interessant: Der Mann kann Dialog. Auch, wenn es nicht jedem gefällt.

Die Sitzungen des Gemeinderats werden live gestreamt, es gibt digitale Bürgerinnenbeteiligungsformate, auf Facebook bedanken sich lokale Einzelhändler beim Oberbürgermeister für seinen Einsatz. Kann mir schon vorstellen, wie identitätsstiftend das ist.

Bürgermeister der näheren Heimat

Der SPD-Bürgermeister der Stadt Schwerte, Dimitrios Axourgos, etwa 50.000 Einwohnerinnen, möchte gern gesehen werden. Die Presseabteilung verteilt mehrmals in der Woche Fotos jedweden Treffens, Besuches, Eröffnungen, Ereignisses, des vermeintlich rastlosen Bürgermeisters. War schon der vormalige CDU-Bürgermeister in den lokalen Medien nahezu omnipräsent, toppt der ehemalige Gymnasiallehrer alles. Er ist überall (!) dabei. Aber er (oder er lässt es machen, egal) schreibt regelmäßig die neuen Werte und weitere Corona-Neuigkeiten auf seiner Facebook-Seite, bittet die Bürgerinnen um weitere Vorsicht und hat immer freundliche Wünsche parat. Die Ansprache ist okay. Sie ist zugewandt.

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt gegeben, dass es nun weitere Kanäle der Stadt geben wird. Künftig werden auch Instagram, Youtube und sogar Tiktok bespielt. Vielleicht hat er demnächst noch mal Zeit, seinen Profiltext zu überarbeiten. Da ist er nämlich immer noch Fraktionsvorsitzender der Iserlohner SPD und Lehrer am Schwerter Gymnasium.

Michael Joithe ist seit dem späten Herbst der Bürgermeister der Stadt Iserlohn. Nicht mehr ganz 100.000 Einwohnerinnen zählt sie. Der Unternehmer, der die parteienunabhängige Gemeinschaft “Die Iserlohner” angeführt hatte, konnte die favorisierte CDU-Kandidatin um einige wenige Stimmen überholen. Die wesentlichen Themen: Transparenz und Bürgerbeteiligung. Seit der amtlich entschiedenen Wahl  ist nahezu Ruhe im Karton. Schon verständlich, bei den Herausforderungen: Interne Auseinandersetzungen, laufende Gerichtsprozesse zu fragwürdigen Personalentscheidungen, ein geschlossenes Karstadt-Haus mitten in der Stadt, ein marodes Rathaus-Gebäude, ein zunehmend sterbender Einzelhandel, eine hohe Verschuldung, viele Altlasten. 

Die Kommunikation des Bürgermeisters an die Bürgerinnen etwa auf Facebook ist spärlich und erscheint wenig zugewandt. 

Etwa so:

Stand 05.02.2021 0:00 Uhr – Daten vom RKI

Inzidenzwert des MK liegt bei 97,8 – Gefährdungsstufe 2

ENDLICH wirklich unter 100! (Zuletzt am 27.10.20)

Zusatzinfo (Stand: 05.02.2021):

In Iserlohn: 88 Infizierte und 2249 Genesene.

Bitte passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund!

Ok, kann man machen, wirklich empathisch ist anders. Seine Abo-Zahlen sind ohnehin eher in der Größenordnung, dass er auf der Plattform nahezu nicht sichtbar ist. Nebenbei: Andere Pressemitteilungen oder Pressegespräche mit lokalen Medien konnte ich bisher nicht verzeichnen.

Iserlohn ist special. Kein Wunder also, wenn sich sogar eine Mehrheit der Ratsmitglieder dagegen entscheiden, die Sitzungen live zu streamen. Ein Kompromiss, der keiner ist: Die Sitzungen werden nun in einen Saal des Rathauses übertragen, den man mit Anmeldung und Maske vor dem Gesicht anschauen kann. Bürgerfreundlich? Ja, klar. Sorry, weltfremd. 

Verwunderlich

Landrat Marco Voge ist auch neu im Amt. Der CDU-Kommunalpolitiker gewann im Herbst das Rennen im Landkreis Märkischer Kreis, einigermaßen deutlich. Wahrnehmbare Spuren in der Öffentlichkeitsarbeit sind für mich bisher rar. Der Märkische Kreis ist ohnehin ein Sonderkonstrukt. Kreisstadt ist Lüdenscheid, der Kreis grenzt an das Ruhrgebiet und an das Hochsauerland.

Der Landkreis veröffentlicht täglich die neuen Werte des Landkreises, einigermaßen trocken und sachlich.  Ein Video zum Thema Impfzentren verhieß einen guten Auftakt, seither ist leider auch hier wieder Ruhe im Karton. Zumindest gibt es keine neuen Videos. Immerhin: Der Mann schreibt lebhaft auf Facebook, sehr direkt, recht offen. Und er lädt zum Dialog ein. Das allerdings auch nur hier. Ein Twitter-Account verwaist seit langer Zeit. Eine rechte Strategie scheint nicht dahinter zu stehen. Und der Einsatz gegen die Pandemie? 

 

Das Gezerre

Das Gezerre zwischen einer durchaus wissenschaftlich versierten Kanzlerin, den Fachfrauen der Virologie, den eigensinnigen Ministerpräsidentinnen und Ministerinnen, das alles in einem Superwahljahr, und den nachgeordneten Behörden, die vielen Widersprüche, die auch Madsen klar benennt, machen alle müde. Niemand versteht wirklich alles. Nach den einigermaßen erträglichen Sommer – und Herbstmonaten kommt ein Winter, der dem Virus und seiner Verbreitungsfreudigkeit entgegenkommt. Ergebnis: Ein zweiter “Lockdown”, der keiner ist, weil er noch immer viele Schlupfmöglichkeiten bietet. Kein Wunder auch, wenn sich dann Laura Sophie Dornheim dem wichtigen Thema der uneinsichtigen Unternehmerinnen widmet. Die interessiert das einfach nicht, Gesellschaft hin, Gesellschaft her, Profit muss sein.

Dabei sind wir in einer leider sehr entscheidenden Phase. Die durchaus bedrohlichen Mutationen, so die Virologin Melanie Brinkmann, werden in kurzer Zeit die Oberhand nehmen, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird. Aus dem Interview wird leider schon deutlich, nach welchen Kriterien besonders die Landespolitiker entscheiden werden. Ihnen geht es, meine eigene Meinung, nur darum, gut auszusehen, um gegebenenfalls wieder gewählt zu werden. Und, das ist aufgrund der immer noch zu hohen Todeszahlen, das schlechteste Kriterium. Wichtig für mich war nach dem Interview des Rostocker Bürgermeisters und dem genaueren Blick auf den Facebook-Kanal von Boris Palmer, wie wichtig die lokale Ebene auf den Erfolg der Pandemie-Bekämpfung ist. Entscheidend ist für mich als Erkenntnis, das die Bürgermeisterinnen einen sehr entscheidenden Einfluss auf den Erfolg haben.

Bürgermeister: Der direkte Kontakt fehlt

Während ein ehemaliger Möbelhändler als neugewählter Bürgermeister in Rostock und ein grüner Bürgermeister in Tübingen mit Sonderwegen beeindruckende Zahlen (weil so niedrig!) in ihre Statistik-Tabelle einhämmern können, schweigen nach meiner Meinung viele Bürgermeisterinnen und Landräte, oder blubbern Plattitüden zur Volks-Beruhigung. Sichtbar ist aber nach den oben genannten Beispielen auch: Aufgrund der landesweiten Verordnungen entstehen Rahmen, die die Bürgermeisterinnen nutzen können. Entscheidend ist am Ende nach den Beispielen aus Rostock und Tübingen die lokale Konsequenz. Entscheidend auch: Die Kommunikation an die Bürgerinnen, damit sie verstehen können, welche Unbill sie aushalten müssen, um der Verbreitung des Virus entgegenwirken zu können. 

Was leider nahezu nirgendwo stattfindet: Die empathische Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und der Verwaltung, respektive der Vertretung durch die Bürgermeisterinnen oder Landräte. Dabei haben wir bisher noch nicht über die lokalen Parteien gesprochen. Sie finden in meiner Wahrnehmung zum Thema der Pandemiebekämpfung nirgendwo statt. Es gibt bis auf wenige Ausnahen keine konstruktiven Aufforderungen, Bitten oder Appelle, sich vernünftig zu verhalten. Man stellt auch weiterhin Anträge zu allen möglichen Themen, die durchaus verständlich sind. Zumeist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eine Ansprache an die Bürgerinnen um das Bemühen, die Pandemie mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen, findet auch dort nicht statt. 

Ok, woher kommt noch mal die allgemeine Bürgerinnenverdrossenheit, wenn eine Auseinandersetzung oder auch ein Ansprechen in dieser fragmentierten Öffentlichkeit  überhaupt nicht stattfindet?

Habt ihr Beispiele für Bürgermeisterinnen, die sich engagiert so einsetzen wie Claus Rune Madsen oder Boris Palmer? Kennt ihr politische Ortsverbände oder Fraktionen, die sich aktiv und vernehmbar für das Durchsetzen von Maßnahmen für die Eindämmung der Pandemie einsetzen? Dann bitte her damit in die Kommentare. Ich sammle gern. Damit wir das schaffen. Danke.

cdv!

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  • Tibo 8. Februar 2021 at 15:01

    Ich muss spontan an die Ansprache des Bietigheimer Bürgermeisters denken, der die Youtube-Reichweite eines Rappers der in seiner Stadt lebt genutzt hat um eine Osteransprache zu halten. Die beiden sehen zwar zusammen auf der Couch unfreiwillig lustig aus, aber die Idee, Jugendliche nicht nur auf ihren Kanälen anzusprechen, sondern auch mit einer Person zu der sie mehr Bezug haben, als zum recht konservativ daher kommenden Bürgermeister, finde ich gut.

    https://m.youtube.com/watch?v=QH4sRKOiPqI