Arbeit

Nach Fahrplan: Eine ganz neue Freiheit

21. April 2020

Pausenplatz in Oberrödinghausen.

Mittlerweile geht es als Busfahrer schon fast ein wenig routiniert. Am Abend in den Hof einfahren. An den Tankplatz. Tanken. Bei schlechtem Wetter noch einmal durch die Waschanlage. Spiegel an die Seite, Wasser marsch. Die Runde um die Halle. Konzentration. Rückwärts in die Halle. Die gelben Linien geben die erforderliche Orientierung. Gang raus, Feststellbremse, Motor aus. Entweder den digitalen Fahrtenschreiber ausschalten, oder die Scheibe aus dem analogen Fahrtenschreiber auswerfen lassen und die Tageskilometer eintragen. Dienstbuch mit dem Kilometerstand und der Anzahl der getankten Dieselmenge vervollständigen. Kurz mit dem Besen durch den Bus, manchmal mit dem Wischlappen. Die Fahrtenschreiber-Scheibe einwerfen, das Dienstbuch mit dem Wagenschlüssel ins Regal. Feierabend. Das geht jetzt seit Ende Januar so.

Der Stratege und Redakteur schreibt nicht mehr.

  • Der Konzepter denkt keine Konzepte mehr. 
  • Der Social Media-Berater berät nicht mehr.
  • Der Mensch fährt jetzt Linienbus. 

Nahezu jeden Werktag, zuweilen auch an Samstagen und Sonntagen. Dienste, die mal zwischen acht und elf Stunden dauern. Das ist unterschiedlich. Alle Busse sind übrigens 12 Meter lang, 2,55 Meter breit, wiegen leer etwas mehr als zehn Tonnen, können in der Regel etwa 100 Menschen befördern. Sollten so viele Menschen im Bus sein, wiegen sie dann allerdings auch gern mal mehr als 17 Tonnen.

Ganz ehrlich: Macht schon richtig Spaß, so eine Riesenkiste zu manövrieren; wenn alles klappt. Und manchmal kommt es ganz anders: Die erste Entlassung nach den wenigen Monaten. Und der erste Neubeginn als Busfahrer in einem anderen Unternehmen. Im Mai geht’s also nahtlos weiter.

Besonderer Dank gilt den erfahrenen Kollegen

Der Veränderungsprozess hat etwas mehr als drei Monate gedauert. Am 1. Oktober saß ich in der Fahrschule. Und weil es da organisatorisch immer mal heftig holperte, konnte ich erst am 24. Januar meinen neu angefertigten Führerschein abholen. Geplant war das im Dezember. Absolviert waren bis dahin die theoretische Prüfung für die Klasse D, die praktische Prüfung Anfang Dezember. Im Januar dann die IHK-Prüfung als notwendigen Bestandteil für den gewerblichen Busverkehr. Die wichtige Kennzahl dafür im Führerschein ist die Zahl 95. Der Führerschein ist für fünf Jahre gültig. Dann muss eine neue Gesundheits-Bescheinigung her, und die Dokumentation von fünf Fortbildungen, um ihn für weitere fünf Jahre zu verlängern.

Normales Gedöns während der Pause.

Am 27. Januar steuerte ich zum ersten Mal in Begleitung eines netten Einweiser-Kollegen den ersten Linienbus, das noch als Praktikant. Nach einigem Umhören und nach meiner aktuellen  Meinung bin und war ich in einem sehr guten mittelständisches Unternehmen gelandet. Ein kluger Chef, beredt und mit Anstand. Dazu: Ein sehr gutes Team, erfahrene Busfahrer. Mit sehr viel Verständnis für einen mittelalterlichen und dennoch zu Beginn recht nervösen Anfänger. Von den erfahrenen (gern im doppelten Sinne der Bedeutung) Kollegen in den Linien-Einweisungen in kurzer Zeit viel mehr gelernt, als in den zähen Wochen der Fahrschule. Danke also an alle Jungs, und an Beata, für die hilfreichen Einweisungen. Danke auch an Michael, dass ich immerhin starten durfte.

Und, selbst in den aktuellen Zeiten der Corona-Krise, bin ich jetzt einigermaßen erleichtert. Sollte, was zu vermuten ist, nicht wirklich alles den Bach herunter gehen, gibt es immer Arbeit. Busfahrer wurden und werden auch in Zukunft wieder händeringend gesucht. Es gibt zu wenige. 

Und warum diese Veränderung? Jetzt Busfahrer?

{Edit: Dieser Absatz war ursprünglich missverständlich formuliert. Nach durchaus berechtigter Kritik hier also eine Änderung, die hoffentlich deutlicher ist.}

Das muss man auf zwei verschiedenen Ebenen sehen: Nahezu skurril sind Bewerbungssituationen, wenn man überhaupt eine Chance bekommt, sich persönlich vorzustellen, was in meinem Alter nahezu unmöglich ist. Gespräche mit 28-jährigen HR-Menschen sind schwierig, wenn sie nicht mal annähernd wissen, was sie fragen müssen, um den Erfahrungshintergrund einordnen zu können. Dazu: Ich hatte einfach keine Lust mehr darauf, anderen Menschen erklären zu müssen, dass auch jemand mit 56 oder bald 57 Jahren sehr gut in der Lage ist, digitale Kommunikation nicht zur zu denken, sondern auch in die Tat umzusetzen.  Ich hatte keine Lust mehr, einen grandiosen Zick-Zack-Lebenslauf mit großer Erfahrung zu erklären, um dann großen Gruppen (!) von völlig ahnungslosen Menschen in Bewerbungsgesprächen deutlich zu machen, was ich eben mit dieser Erfahrung und besonders vielen Ideen kann und will. Digitale Expertise und Strategie sind in vielen Fällen noch immer sehr gefragt, vielleicht aktuell mehr denn je. Allerdings, so meine Erfahrung, nicht von jemandem, der weit über 50 Jahre alt ist. 

Auf der anderen Ebene Arbeitssituationen aus der Vergangenheit: Ich hatte keine Lust mehr, den Widerständen von Geschäftsführern und/oder Chefredakteuren zu entgegnen; um ihnen nicht erneut die eigene Unfähigkeit oder mangelnde Auseinandersetzungs-Fähigkeit zu spiegeln. Ich hatte einfach keine Lust mehr darauf, vermeintlich selbstbewussten Menschen deutlich zu machen, dass es ihnen an neuen Ideen mangelt.

Bei schlechtem Wetter geht es nach dem Dienst in die betriebseigene Waschanlage.

 Noch immer ist vielen Vertretern von kleinen und großen Unternehmen nicht klar, dass die Digitalisierung keine Frage des Alters ist. Viele sogenannte “Digital Natives” können alles, nach meiner Erfahrung nur nicht digital. Viele junge und durchaus fähige Menschen können vielleicht das ein oder andere ganz gut; vom Konzept her denken und gleichwohl praktische Kommunikation auf vielen verschiedenen Kanälen können sie in den wenigsten Fällen. Ich kann das. Weil seit vielen Jahren drin, erfahren, ideenreich, empathisch – nur vermeintlich etwas zu alt.

Ok, dann macht euren Kram so schlecht, wie ihn viele andere auch machen. Besser geht anders.

Ich muss das nicht mehr

Das Herzblut tickt noch immer in der Kommunikation. Es hat sogar geschmerzt, diese zu verlassen. Und vielleicht gucke ich nochmal nach dem ein oder anderen Job. Weil ich Herausforderungen mag, weil ich weiß, was ich kann. Aber ich muss das nicht mehr. Das Busfahren ist völlig ok. Im Normalfall, also ohne Corona-Viren, trifft man jeden Tag sehr viele nette Menschen, leistet einen guten Dienst. Man sieht sehr viel. Und man hat am Tagesende einen abgeschlossenen Prozess. Da bleibt nix liegen. Entweder wird man beim Frühdienst vom Kollegen abgelöst, oder man löst ab und schiebt am Abend den Bus in die Garage, wie oben beschrieben. Einfach Feierabend. Ein selten angenehmes Gefühl. Das funktioniert seit über zwei Monaten. Es fühlt sich gut an. Der Führerschein ist nunmehr also so etwas wie eine Extra-Versicherung. Busfahren geht immer. Vielleicht in einigen Jahren, wenn es wieder bessere Zeiten sind, gern auch mal Reiseverkehr.

Konzentration ist wirklich wichtig. Klappt leider nicht immer. (Siehe P.S.) Foto: Annette Kritzler

Jetzt also erstmal Linie. Gewöhnungsbedürftig, aber wirklich nur ganz kurz, sind die Zeiten der Frühdienste. Da verlasse ich schon mal um 2.30 oder 3 Uhr am Morgen das Bett. Tee machen, Brote belegen, Apfel, Paprika oder Möhrchen schneiden, duschen. Auf geht’s. Zuerst bei der Leitstelle anmelden, dann den Bus starten. Dienstbuch-Eintragung, Fahrtenschreiber-Scheibe ausfüllen (adäquat den digitalen Fahrtenschreiber starten), Sitz und Lenkrad einstellen, Licht an, Abfahrt. Feierabend ist dann zwischen 12 und 13 Uhr.

Ganz ehrlich: Es gibt gerade jetzt im Frühling wenig geilere Dinge, als den Tag beginnen oder enden zu sehen. Das erste Schimmern am Horizont, das zunehmende Licht, der stetige Aufgang der Sonne (bei gutem Wetter). Das Erwachen überall. Das Leben in den Städten und Dörfern. Menschen sehr früh (sagt der ehemalige Journalist) zur Arbeit zu bringen, später Menschen, die zum Einkauf oder zu sonstigen Erledigungen unterwegs sind. Nicht ungewöhnlich, am späteren Sonntagabend den Bus voll zu haben mit Arbeiterinnen und Arbeitern, die in die Nachtschicht gehen. Die Sonnenuntergänge gerade nehme ich gerne mit. Am Morgen sind wir es, die sie nach der Schicht nach Hause fahren. Und, klar, im Normalfall viele, viele Schüler zur Schule und wieder nach Hause bringen. An jedem Tag Menschen, denen es gut tut, wenn der Busfahrer sie anlacht, und ihnen freundlich einen guten Morgen oder einen guten Abend wünscht.

Nur grad nicht, weil alle hinten einsteigen müssen. Die Fahrerinnen fahren nur noch.

Schön, das es nebenbei und nach dem Dienst noch andere Aufgaben gibt. Etwa, lieben Menschen das digitale Gedöns näher zu bringen, eine neue Web-Seite oder auch sogar ein Forum an den Start zu bringen. Menschen digitale Kommunikation zu erklären, dem ein oder anderen Projekt Partner zu vermitteln, Kommunalpolitik und Kommunikation zu digitalisieren, kleine Projekte zu steuern. Da zahlt sich das in vielen Jahren gelernte Wissen doch noch immer gut aus.

Einstweilen liebe Grüße an euch alle. Achtet euren Busfahrer, denn er ist in den meisten Fällen ein guter Mensch, der seine Aufgabe eurer Beförderung sehr ernst nimmt. 

cdv!

Aktueller Hinweis: Es ist klar, das in den Zeiten des Corona-Virus der ÖPNV ambivalent gesehen wird. Wir als Fahrer sind durch die aktuelle Absperrung geschützt. Die Fahrgäste sollten aufmerksam sein. Abstand halten ist das oberste Gebot, so es möglich ist. Je enger es dann doch wird, sollte man vielleicht besser einen Mund-Nase-Schutz tragen. Und es ist mit Sicherheit gut, sich nach einer Busfahrt die Hände gründlich zu waschen. Das sollte man ohnehin immer, wenn man in der Öffentlichkeit war.

P.S.: So leicht ist das alles nicht. Leider schon zwei Unfälle mit Sachschäden gehabt. Gerade aktuell. Zehrt sehr am Nervenkostüm. Mag auch zur ersten Kündigung geführt haben.

P.P.S.: Wie man an den Bussen sieht, fahren wir vornehmlich für die Märkische Verkehrsgesellschaft, aber auch für andere Verkehrsgesellschaften. Die Fotos sind alle schon ein wenig älter. Muss mal neue machen.

P.P.P.S.: Mein Traum wäre ja, eine ganze Horde zur #re:publica zu fahren.

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  • Oliver Berger 22. April 2020 at 09:30

    Hej, ich finde den Artikel und vor allem Deine Haltung, die (mit) zu dieser Entscheidung geführt hat, super. Meine Hochachtung und Danke für den Einblick. IMHO sollten sich viel mehr Menschen aus dem Kreativ- und Strategieumfeld nach anderen Jobs umsehen, vielleicht nicht unbedingt aus den gleichen Gründen wie Du.

    Die Frustration aber, bei selbsternannten GF und Menschen ohne Digitalkompetenz mit der Beratung immer wieder vor eine Mauer zu fahren, dürfte vielen nur zu gut bekannt sein. Ehe ich hier aber ins Schwafeln komme (natürlich gibt es auch Lichtblicke!), will ich das mit guten Wünschen für die weitere berufliche Karriere beschließen. Danke für Deinen Einsatz auf der Straße.

  • Oliver Gassner 25. April 2020 at 08:39

    Lass uns dei Idee mit der re:publicafahrt verfolgen. meldeste dich?

  • Meike Leopold 25. April 2020 at 14:56

    Hey Christian, also ich steigen näxtes Jahr sofort in deinen republica-Bus! :) Ich finde deine Entscheidung super. So hast du ein ganz neues Betätigungsfeld und ein solides Standbein, denn Busse fahren wie du sagst immer. Auch danke für die Anregung, denn in unserem Alter kommt zunehmend die Frage auf, ob man auf der bisherigen Schiene bleibt. Wenn wir allerdings aus Altersgründen nicht gebucht werden, dann fände ich das sehr beschissen. Bei uns Frauen kann das aber durchaus auch vorkommen, gerade wenn es um öffentliche Auftritte geht. Traurig! Anyway. Ich hoffe, dass du dich weiter erfolgreich in in deinem Job einfährst und dein neuer Arbeitgeber gut durch die Corona-Zeit kommt! Bist du eigentlich der erste bloggende Busfahrer? Sehen wir dich trotzdem beim nächsten Corporate Blog Barcamp? Fragen über Fragen. :) Liebe Grüße, Meike

  • Meike Leopold 25. April 2020 at 14:58

    PS: auch von mir als ÖPNV-Nutzerin DANKE für deinen Einsatz und: Bleib gesund!!

  • Tim Krischak 29. April 2020 at 14:06

    Lieber Christian, herzlich Willkommen in der ÖPNV-Branche!